LISA

Director and Editor | Clara Andres

Kamera | Bobby Klein
Documentary film | Germany 2014 | 53 minutes

Über LISA – von Joris Löschburg

An diesem Punkt, an dem sich alles zwischen Endlosschleife und den wenigen Bildern die bleiben abspielt. Die Schallplatten in der transparenten Kiste, einziges Ausstattungsstück in diesen grauen, leeren Räumen, in denen der Hall alles Gesprochene ergreift.
Ungewohnte, unheimliche Nähe der Erzählung.

Sissy wirkt fast entspannt, wie sie von Lisas Coolheit erzählt.
Nadja sitzt da, ihr Knie fest umschlungen, als sie erzählt, dass sie U-Bahnhöfe jetzt eigentlich zu meiden versucht. Und dass sie Lisas Klamotten immer noch trägt… Irgendwann hatte sie gedacht, sie müsste sie waschen und sie hat daran glauben wollen, die Waschmaschine schaffe es vielleicht irgendwie, dass Lisas Geruch dennoch darin erhalten bleibe. Mutmaßungen wie es Lisa jetzt gehe, begleitet von dem festen Glauben, sie sei nun im Himmel, wo es ihr gut, wo es ihr besser gehe.

Mir ist es fast unangenehm, Lisa nicht gekannt zu haben.
In den Erzählungen komme ich ihr nahe auf eine eigentümliche, angehende Weise.
Lisa, die ich nicht kenne, nicht kannte.
Dieses war, die stete Vergangenheitsform, in der über Lisa gesprochen wird, ist eigentlich das einzige Indiz. Für die Unwiederbringlichkeit, für das Grundtragische der Situation.
Und das plötzliche Einhalten inmitten des Berichtes, das plötzliche Stillwerden.
Und das sich wieder bewusst werden über den Abgrund, über den hinaus da erzählt wird. Und über die Waschmaschine Zeit, von der man hofft, sie möge nicht alles abwaschen von der geteilten Intimität, von Lisas.

Die Geschichten, die die Freundinnen da über Lisa erzählen, sprechen vom gesehen werden und von der Erinnerung. Von der Möglichkeit sich im Leben wirklich zu begegnen. Davon, dass nicht nur Songtitel bleiben sondern, dass die Musik hinter ihnen erfüllt ist – mit Gefühl, mit Erinnerung. „Dieses Lied ist Lisa“, sagt Sissy, „und es gibt auch keine andere Assoziation – das ist so komplett besetzt…“ Wer Lisa gesehen hat, weiß, was dieses erfüllt sein meinen kann – und dass es hier nicht um Pathos geht oder melancholisches Schwelgen.

Vielmehr ist alles von großer Lebendigkeit und auch ich selbst bilde mir ein, die wirklich sehen zu können, die da erzählen. Man möchte das ewige war überhören, ein Bild sehen von Lisa, das es nicht zu sehen gibt.

Und ich bewundere die Regisseurin für die ruhige Kunst mit der sie uns zu Hörenden, zu Zuhörenden macht – denn vielmehr als ein Schauen wird in Lisa ein Hören erzeugt, ein echtes Zuhören. Ich bewundere Lisa für die tiefe Stimmung, die den Film durchzieht, ohne, dass sie künstlich erzeugt wäre. Gerne würde ich aus einer anderen Distanz über Lisa schreiben, eine Distanz, die mir der Film unmöglich macht. Ich würde mich darüber wundern, wie Clara es schafft, dieses stets auf die Hyperpräsenz der Bilder pochende, aufgeregte Medium zurück in einen beruhigten Guckkasten zu verwandeln, der jenen mit dem Zuhören angesprochenen Raum öffnet und belässt. Ich würde mich über die Gelassenheit der Kamera wundern, die ihre Darsteller dem Bild entwischen lässt, ihnen nur langsam nachfolgt oder ihnen zuhört, auch wenn nur noch Rauch von ihnen zu sehen ist. Stattdessen bewundere ich einfach Lisa, während ich über sie erfahre, ich sehe einen großen Menschen und ich bin immer noch traurig, sie nicht gekannt zu haben. Und ich bewundere Lisas Freundinnen, uns ihre Geschichte zu erzählen.

Sie sitzen in dem leeren, fremden Haus. Erzählen, hören sich gegenseitig zu dabei, lachen eigentlich viel, schweigen plötzlich. Schall und nur die transparente Kiste mit einigen Platten darin. Das sind mehr als Songtitel, das sind Lieder, in denen Lisa ist, Lieder die von Lisa erfüllt sind. Einmal hoffe ich, Sissy möge nicht anfangen zu weinen, da ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht gleichsam zu weinen beginnen würde. Schließlich weint niemand.

Als der Film zu Ende geht, ist auch das Kino erfüllt. Als der Film zu Ende geht, bin ich erfüllt. Mit einer Betroffenheit die ehrlich ist, nicht angeschminkt oder erwirkt.
Ich möchte über Lisa schreiben, denn es ist der ehrlichste Film den ich seit langem – vielleicht jemals gesehen habe. Als der Film zu Ende ist bleibt da auch ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit.

Ich weiß, dass Clara sich einmal gefragt hat, ob sie nicht einen belastenden Film vorgelegt hat – ein Film über ein Schicksal, dass traurig macht, traurig ist. Es fällt mir schwer über Lisa zu schreiben , denn der Film erzählt über Lisa, die sich das Leben genommen hat. Aber es ist kein bedrückender Film, es ist nicht hoffnungslose Irritation sondern die große Geste der Erinnerung, die zurückbleibt: „Lisa ist da, Lisa ist immer da…“, sagt Sissy noch mit verblüffender Sicherheit. Ich möchte über Lisa schreiben, um Clara zu danken, über ihren Mut, uns ihren so intimen Film zu zeigen, der uns mitnimmt in die Erfahrung des Verlustes und in die Erinnerung an Lisa. Danken schließlich für einen Film, der uns in der unwiederbringlichen Erfahrung des Verlustes gleichsam spüren lässt, dass die Dinge, die wir gemeinsam erleben, vielleicht wesentlich weniger vergänglich sind, als wir gemeinhin anzunehmen gewöhnt sind.

j.loeschburg